Was ist Kunst? Teil 2
30. März 2016
von Andrea
Die Antworten, die seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts auf diese Frage gegeben wurden, kann man als ziemlich komplex, sehr uneinheitlich und unübersichtlich bezeichnen. Um es vorweg zu nehmen: Es gibt keine schlüssige, von allen geteilte Definition für Kunst.
Mit dem Versuch einer Definition beschäftigen sich Künstler und Philosophen. Für die zeitgenössische Kunst ist die Philosophie übrigens auch über die Frage hinaus sehr wichtig geworden. Nicht nur interessieren sich die postmodernen Philosophen stark für Kunst, auch die Künstler studieren die Werke der ästhetischen Philosophie und deren Theorien haben großen Einfluss auf ihr künstlerische Schaffen. Die Documentas beweisen ein deutliches Interesse an der Philosophie seitens der Kunst. Die philosophischen Sichtweisen werden in Kunstwerken verarbeitet. Das bedeutet auch, dass der philosophische Blick nicht nur von außen auf die Werke gerichtet wird sondern ihnen bereits innewohnt.
Aber das Verhältnis von Philosophie und Kunst ist durchaus auch problematisch, wenn es z.B. um Definitionsmacht geht. Und es ist sehr fraglich, ob sich künstlerische Darstellungen überhaupt in Begriffe – welche das Werkzeug der Philosophie sind- übersetzen lassen.
Im Folgenden werde ich Sichtweisen der Kunstdefinition einiger wichtiger zeitgenössischer Vertreter der ästhetischen Philosophie vorstellen, sie machen die Problemetik der Definitionsmacht und der Un-)Übersetzbarkeit deutlich.
Arthur Coleman Danto (1924 – 2013 ), amerikanischer Philosoph, ist Vertreter der analytischen Philosophie und einer der meist beachteten Vertreter der Kunsttheorie. Er ist heute vor allem durch seine These vom „Ende der Kunst“ (Neuauflage der Hegelschen These) bekannt.
Er hatte 1964 ein Schlüsselerlebnis, ausgelöst durch einen Besuch in der New Yorker Stable Gallery, die Andy Warhols „Brillo Boxes“ ausgestellt hatte. „Brillo Boxes“ sind Supermarktkartons, die als Verpackung für Putzschwämme dienen. Warhol ließ diese in seiner Werkstatt in Sperrholz nachbauen und per Hand bemalen. Aus Sicht von Danto war die Brillo-Box-Ausstellung geeignet, die gesamte Kunsttheorie zu revolutionieren: Warhol und andere Pop-Art-Künstler hätten gezeigt, dass von zwei Gegenständen, die genau gleich aussahen, eines ein Kunstwerk und das andere keines sein konnte.
Der Unterschied Kunstwerk nicht Kunstwerk kann also nicht ästhetisch erkannt werden. Den Unterschied macht vielmehr die Interpretation. „Kunst ist eine Sache, deren Existenz von Theorien abhängig ist“ sagt Danto. Der Status als „Kunstwerk“ wird einem Objekt zuerkannt, indem die Interpretation dessen Bezug zu „Über-etwas-sein (aboutness)“ herstellt.
Das bedeutet also: ohne Interpretation gibt es keine Kunst. Jede Interpretation konstituiert ein neues Werk. Das bedeutet aber auch, dass es laut Danto keine Kunst per se gibt. Kunst wird nicht durch Künstler geschaffen sondern entsteht durch Interpretation. Hier stellt sich naturgemäß die Frage, wer die Definitionsmacht haben soll. Diese hat Danto eindeutig an die Philosophie übergeben, da eigentlich nur die Philosophie fähig ist, die Definitionen zu liefern.
Witzigerweise war Danto in der New Yorker Kunstszene ein gefeierter Schreiber, obwohl seine ästhetische Theorie besagt , dass es gar keine Kunstwerke gibt. Das liegt daran, dass die philosophischen Ästhetik inzwischen auch als eine Art Werbebranche für die Kunst fungiert. Dabei geht es allerdings nicht um ein generelles Wertzertifikat für die Kunst als solche, sondern um die Beförderung des Marktwertes einzelner Künstler. Die Kommentare der Philosophen und Ästhetiker sind zu einem Bestandteil der Spekulationsbranche namens Kunstwelt geworden. Der Inhalt der Kommentare ist dabei allerdings ziemlich gleichgültig, wie der Fall Dento zeigt.
Nelson Goodmans (1906 -1998) ist ebenfalls Amerikaner und ein weiterer wichtiger Vertreter der ästhetischen Philosophie, er ist von einer skeptischen, analytischen und konstruktivistischen Richtung geprägt. Übrigens war er zudem ein begnadeter Kunstsammler (Ausstellung der Goodmanstiftung in Harvard)
In seinem 1968 erschienenen Hauptwerk Languages of Art (dt. Sprachen der Kunst) wendet er sich gegen die üblichen Zugangsweisen zum Ästhetischen, nämlich gegen den Zugang durch das Leitprädikat „schön“ (viele der besten Bilder sind ganz offensichtlich häßlich), er ist aber auch gegen den Zugang über das Emotionale (also Empfindung, Gefühle, Genuß). Er ist vielmehr für den kognitiven Zugang zum Kunstwerk. Das Emotionale solle allenfalls dem Zweck der Erkenntnis dienen.
Goodman geht davon aus, daß es so etwas wie die eine Welt nicht gibt, die erkannt werden kann. Vielmehr wird die Welt in einem konstruktiven Erkenntnisprozeß erst gemacht. In diesem Prozeß verschwindet die eine Welt, und an ihre Stelle treten verschiedene Sichtweisen oder „Weltversionen“. Diese „Welterzeugung“ geschieht anhand von Symbolen (hier sind nicht Symbole im klassischen Sinne gemeint, der Begriff meint eher Zeichen, es umfaßt hier also Buchstaben, Wörter, Texte, Töne, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und vieles andere mehr). Der primäre Zweck in Zeichenzusammenhängen ist Erkenntnis. Nach Goodman können alle Formen der Kommunikation (Sprache, Kunst, Wissenschaft) als Symbolsysteme aufgefasst werden. Die Symbole werden Symbolsystemen zugeordnet, z.B. die Wissenschaften, die Philosophie oder die Künste. Keines der Systeme hat Vorrang vor den anderen. Wissenschaften und Künste unterscheiden sich lediglich in der Art des Symbolgebrauchs, nicht aber in der Richtigkeit oder gar Wahrheit ihres Zugangs zur Welt.
Die Theorie der Kunst ist deshalb – ebenso wie die Theorie der Wissenschaften – Teil einer umfassenden Erkenntnis- bzw. Symboltheorie. Ausgehend von dieser These versucht Goodman die Charakteristika des Symbolsystems der Kunst herauszuarbeiten, um so eine Brücke von der Kunst zur Erkenntnistheorie zu bauen.
Für Goodman gibt es kein Generalkriterium für das Ästhetische. Er nennt stattdessen lediglich Symptome für das Ästhetische (Syntaktische Dichte, semantische Dichte, relative Fülle und Exemplifikation). Diese Symptome sind aber weder notwendige noch hinreichende Bedingungen für ästhetische Erfahrung. Jedoch kommen sie in der Kunst verstärkt vor: „Wahrscheinlich sind die vier Symptome in ästhetischer Erfahrung eher zu finden, als dass sie fehlen, und normalerweise nehmen sie eine hervorragende Stellung ein; aber jedes von ihnen kann in der ästhetischen Erfahrung fehlen oder in der nicht ästhetischen zu finden sein.“ ( Sprachen der Kunst). Goodman spricht von Symptomen nicht von Kriterien, da es selbst bei Vorliegen aller Symptome möglich ist, dass das Untersuchte eben kein Kunstwerk ist. Wie gesagt, es gibt nicht ein einziges verbindliche Kriterium für Kunst.
George Dickie (*12. August 1926 ), auch US- Amerikanischer Philosoph, arbeitet ausschließlich auf auf dem Gebiet der Ästhetik in der Tradition der analytischen Philosophie.
Ausgehend von kritischen Untersuchungen klassischer Theorien zur ästhetischen Erfahrung, Einstellung und Wahrnehmung kommt Dickie zu dem Schluss, dass sich Kunst nicht unter Bezugnahme auf mentale Zustände oder unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaften bestimmen lässt.
Vielmehr sei eine Institution, die Kunstwelt („artworld“ ist übrigens ein Begriff, der von Arthur C. Dantos geprägt wurde ) Ausgangspunkt der Bestimmung von Kunst zu nehmen. Ein Kunstwerk ist ein Artefakt, dem eine Gruppe von Experten den Status eines Kunstwerks verliehen hat. Grob gesagt: Kunst ist das, was im Kunstmuseum steht.
Dickie gibt eine Formel für die Klassifizierung von Kunst:
(1) ein Artefakt,
(2) eine Menge seiner Eigenschaften, der der Status eines Kandidaten für Wertschätzung durch eine oder mehrere Personen übertragen wurde, die im Namen einer bestimmten gesellschaftlichen Institution (der Kunstwelt) handeln.“
Hier stellt sich erneut die Frage, welche Personen urteilen dürfen, was Kunst ist. Bei dieser Auffassung scheint die Frage zu einer kulturpolitischen zu werden.
Jean-François Lyotard (1924 – 1998) französischer Philosoph und Literaturtheoretiker und wichtiger Theoretiker der Postmoderne hat einen ganz anderen Zugang zur Kunst als die bisher genannten Philosophen.
Seiner Meinung nach ist Kunst nicht diskursiv darstellbar. Lyotard richtet sich gegen die von Hegel bis zu (einem bestimmten, frühen) Adorno vertretene Ansicht, dass die philosophische Interpretation das begrifflich klar macht, was die Kunst eigentlich sagen wollte, aber nicht sagen konnte, da sie nicht begrifflich vorgeht sondern sinnlich. Er geht gegen die die „Nichtgrenze“ der begrifflichen Auslegung vor. Die Kunst kann nach seiner Auffassung nicht einfach in Begriffe übersetzt werden.
Er zeigt auf, dass Grenzen der Darstellbarkeit gibt und jenseits davon Undarstellbares. Genau dies ist für Lyotard Kennzeichen der modernen Kunst. Die Kunst der Avantgarden werde selbstflexiv. Sie frage sich selbst nach den bestehenden Mustern, was Kunst zu sein habe. Sie frage nach den Grenzen der Darstellbarkeit und wende sich dem dem Undarstellbaren (dem Erhabenen) zu. Es handele sich um eine Kunst des Dissenses, der Zuspitzung, die sich auf die Ränder des Kunstphänomens sowohl als auch auf die unserer Existenz richte. Lyotard nimmt Bezug auf den Begriff des Erhabenen wie Kant ihn verwendet. Bei der Ästhetik des Erhabenen geht es anders als bei der Ästhetik des Schönen nicht um Harmonie sondern um Unvereinbarkeit. Das Erhabene entzieht sich dem Geschmack und dem kollektiven Konsens, es ist ein anderes Gefühl. Es ist das Terroristische, das das Schöne zerstört. Das Erhabene verweigert sich der Transparenz, es ist das unendlich Unversöhnliche, Provokante. Das Erhabene ist der produktive Riss, der unendliche Abgrund, der sich im Augenblick ereignet.
Literatur online
http://www.kunstphilosophie.info/Goodman/Einfuehrung.html
http://www.tabularasamagazin.de/artikel/artikel_2581/
http://www.zeit.de/2013/45/nachruf-arthur-c-danto
http://www.kunstphilosophie.info/Dickie/Einfuehrung.html
http://micc-project.org/wp-content/uploads/MICC_WP_05-Nelson-Goodman1.pdf
http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/
und Wikipedia