Heidegger-Kritik

von Andrea

100-Seiten-Frist für „Sein und Zeit“

Regierungen haben ihre 100-Tage-Frist, Schriftsteller bei mir ihre 100-Seiten-Frist. Jetzt haben wir etwa 100 Seiten von „Sein und Zeit“ studiert und ich möchte darlegen, was mir – bisher- an dem Werk gefällt und was nicht.

Was mir gefällt

Was mir gefällt ist die Idee der ontologischen Differenz.

Heidegger kritisiert die klassische  Ontologie, weil sie die ontologische Frage nach dem Sein immer nur vermittels des ontischen Seienden gestellt hat. Sie führe das Sein auf Seiendes zurück. Dadurch aber wird nach Heidegger das Sein des Seienden verstellt. Denn wenn man beispielsweise davon ausgehe,  dass Seiendes Materie ist, dann wisse man nur, dass der Hammer Holz und Metall ist, aber nicht, dass er „das Ding zum Hämmern“ ist.

Auch der Mensch selbst könne sich nur dann verstehen, wenn er sich nicht nur als Vorhandenes sondern als Dasein/Existenz ansehe. Er könne sich selbst nicht als lediglich vorhanden  Gegenstand denken. Sondern er sei vielmehr ein Seiendes, welches zugleich so beschaffen sei, dass es nach seinem eigenen Sein fragen kann. Der Mensch müsse erkennen, dass er nur im Lebensvollzug existiere. Dasein hat nach Heidegger immer schon ein gewisses Vorverständnis von sich, dem Sein und dem Seienden, die Welt ist ihm als sinnhafte Ganzheit gegeben, hinter deren Sinnzusammenhänge er nicht zurückgehen könne.

Das das ein interessanter und vielversprechender (damals) neuer Ansatz für Heideggers Untersuchung.

Was mir nicht gefällt

  1. die Körperlosigkeit des Daseins

Aber es ist nicht einfach, das Dasein auf sein Sein hin zu befragen, wenn man nur sehr unklare Begriffe desselben hat. Ich finde Heidegger macht sich ein bisschen schnell davon, wenn er erklärt, was das Dasein sein solle.

Es ist ja nicht Mensch, also nicht Mann, nicht Frau (Tatsächlich habe ich es mit immer weiblich vorgestellt, weil es mich an meine Mutter erinnert, die auch zeitlebens im Seinsmodus der Sorge war und noch ist). Aber Dasein hat bei Heidegger bis Seite 100 kein Geschlecht. Vielleicht muss es sich dann wenigstens um seine Sexualität nicht sorgen.

Irgendeinen Körper muss das Dasein aber haben, denn zum Sorgen benötigt es ein Gehirn, das Gedanken produziert oder empfängt. Außerdem hämmert es laut „Sein und Zeit“. Zum Hämmern bedarf es ebenfalls eines Körpers.

Mein Eindruck ist, dass Heidegger den Körper irgendwie unangenehm ontisch findet an diesem hübsch ausgedachtem Dasein und ihn darum ein wenig unter den Tisch fallen läßt. Denn der Körper macht die ontologische Differenz im Hinblick auf das Dasein etwas komplizierter, weil er eben auch ontisch ist. Aber Dasein gibt es nicht ohne diesen ontischen Bestandteil.

  1. Natur nur unter Nützlichkeitserwägungen

Was mir auch nicht so gut gefällt ist die Betonung des Vorrangs des praktischen Weltbezugs dahingehend, dass auch die Natur nur unter Nützlichkeitserwägungen erscheint.Dies ist ein Punkt, welcher bereits von einer Kommilitonin angesprochen worden war. Heidegger wird ja diese Sichtweise in seiner späteren Technikkritik selbst aufgeben. Weshalb ich mich an dieser Stelle frage, ob es  vielleicht ein Fehler ist, sich allzu ausführlich mit „Sein und Zeit“ zu befassen und nicht lieber rascher zum „späten Heidegger“ wechseln sollte.

  1. die Sprache Heideggers

Was mir – wie offensichtlich vielen anderen auch- nicht recht gefällt, ist die Sprache Heideggers. Einige Kritiker sind der Ansicht, das Werk sage im Ganzen recht wenig, jedenfalls wenig Neues, und verschleiere dies mit vielen Worten. Meine philosophische Bildung ist gering und meine „Sein und Zeit“-Lektüre nicht über 100 Seiten hinaus gelangt, daher enthalte ich mich einer regelrechten Kritik und lassen es damit bewenden, zu erwähnen, dass mich die Sprache zunehmend nervt. Einen heideggerschen Begriff nach dem anderen habe ich mir gefallen lassen. Aber langsam aber verliere ich die Freude an weiterer Lektüre. Bisher hat sich mir nicht erschlossen, warum alles gerade so ausgedrückt werden muss.

Mein Wunsch

Ich würde es begrüßen, nicht allzu lange bei „Sein und Zeit“ zu bleiben und lieber den späten Heidegger“ zu studieren.

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